Gelebte Erfahrung in der Stadtplanung
- Text: Rasmus Duong-Grunnet, Liselott Stenfeldt, Kristian Skovbakke Villadsen
- Grafiken: Gehl
Die Stadtberater:innen von Gehl untersuchen das öffentliche Leben in Städten. Ziel ist es, Städte nachhaltig, gesund und gerecht für alle zu gestalten. In diesem Text präsentiert das Büro seinen Ansatz für die Arbeit mit qualitativen Daten und stellt Planungsinstrumente und Projekte vor.
Die Urbanisierung schreitet weltweit voran, und die UNO schätzt, dass zukünftig 70 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben werden. In den letzten Jahrzehnten konzentrierte sich das Büro Gehl auf die Entwicklung von Methoden und Ansätzen zur Untersuchung des öffentlichen Lebens in Städten. Grundlegend für die Gestaltung des städtischen Lebens in seiner ganzen Komplexität ist das Verständnis der gelebten Erfahrung aller städtischen Bevölkerungsgruppen. Wir bemühen uns, so nah wie möglich an die Nutzer:innen heranzukommen und ihre Bedürfnisse zu verstehen – ihre gelebte Erfahrung auf Augenhöhe zu erfassen.
Die gelebte Erfahrung wird häufig durch Anmeldungen, Umfragen vor Ort, Workshops, Fokusgruppen und Interviews ermittelt. Gehl hat Methoden und Instrumente für die Untersuchung des öffentlichen Lebens entwickelt. Im Bereich Stadtplanung sind wir zunehmend in der Lage, weitaus größere Datensätze mit einer wachsenden Zahl von Datenpunkten zu sammeln.
Qualitative Daten sinnvoll nutzen
Es kann problematisch sein, aus großen Mengen qualitativer Daten Grundsätze oder Leitlinien abzuleiten. Zu deren Strukturierung und Interpretation setzen wir auf „Design Thinking“- Ansätze. Dabei wenden wir ein iteratives Herangehen an, das auf „Messen, Testen und Verfeinern“ beruht. Um die Menschen, für die wir planen, nicht aus den Augen zu verlieren oder bei großen Datenmengen den Überblick zu behalten, nutzen wir Analysemethoden aus der Stadtforschung wie „Nutzerprofile“„Personas“ und „User Journeys“.
Mithilfe von „Nutzerprofilen“ lassen sich die grundlegenden Anforderungen und Erwartungen der Menschen hinter den Daten ermitteln. Mit diesem Instrument können wir größere Mengen an Informationen besser strukturieren, die mit ausgewählten Nutzergruppen verbunden sind, wie Alter, berufliche Funktion, Standort oder Wohngebiet. „Personas“ ermöglichen eine größere Spezifität und ein besseres Verständnis der Nutzerbedürfnisse, -erfahrungen und -verhaltensweisen, was eine fundiertere Grundlage zum Testen von Designlösungen bietet. Personas beschreiben keine realen Personen, sie werden aus tatsächlichen Daten abgeleitet, die von mehreren Personen gesammelt wurden. Im Bereich des menschenzentrierten Designs können Personas helfen, die richtigen Fragen zu stellen und Antworten zu erhalten, die den Bedürfnissen der Nutzer:innen entsprechen. Etwa: „Wie wird Nina Funktion X oder Änderung Y in einem bestimmten Kontext erleben, darauf reagieren und sich verhalten?“ Oder: „Welche grundlegenden Bedürfnisse versuchen wir zu erfüllen?“ Die „User Journey“, ein weiteres Design-Tool, ermöglicht es, den Weg einer Person durch eine Stadt darzustellen, einschließlich Emotionen, Schmerzpunkten und damit verbundenen Motivationen. Eine „Journey Map“ bildet die Erfahrungen des Einzelnen beim Durchqueren eines Raums ab und ist nützlich, um Prozesse zu visualisieren.
Mapping von Nutzermustern
Wertvolle Erfahrungen im Umgang mit diesen Design-Tools sammelten wir bei der Untersuchung der Nutzung und des Nutzungsverhaltens öffentlicher Freiräume in München. Für unsere umfassende sozial räumliche Studie der Stadt entwickelten wir zehn Nutzerprofile als Analyseinstrument, um Daten aus verschiedenen Perspektiven zu bewerten. Wer nutzt die Parks, Plätze, Straßen und Erholungslandschaften Münchens und wie? Was sind die Erwartungen und Bedürfnisse der Nutzer:innen? Wie lassen sich diese in Gruppen einteilen? Auch die unterschiedliche Wahrnehmung von Dichte, ob positiv oder negativ, wurde angesprochen. Die Perspektive „Mensch im Mittelpunkt“ ist hilfreich, um die richtigen Lösungen für eine dicht besiedelte Stadt wie München zu finden, denn sie fördert das Verständnis für die vielfältigen Erfahrungen der Menschen, in deren Auftrag die Gestaltung erfolgt.
Ein weiteres Beispiel ist die Stanford Doerr School of Sustainability, die sich mit Nachhaltigkeit und Klimawandel befasst. Den Gründer:innen der Hochschule schwebte eine neue Art von Institution vor, die den physischen Raum der Schule nutzen sollte, um die Zusammenarbeit durch unverhoffte Anknüpfungspunktein der Nachbarschaft zu fördern. Zur Umsetzung dieser Vision führte das Büro Gehl Interviews, Rundgänge und Fokusgruppen mit Lehrkräften, Studierenden und Mitarbeitenden durch, um zu untersuchen, wo und wie interdisziplinäre Kooperationen entstehen und sich entwickeln. Wir nutzten diese Analysen, insbesondere die Nutzerprofile und User Journeys, um zu verstehen, was funktioniert (und was nicht), um eine Umgebung für die Zusammenarbeit neu zu entwickeln. Das Ergebnis war eine Reihe von Erkenntnissen und Gestaltungsprinzipien, die beim Umbau der Schule und bei der Aufnahme der neuen Inhalte zugrunde gelegt wurden.
Wir halten es für notwendig, diese Ansätze in der Stadtplanung zu fördern. Unser wachsender Zugang zu Technologie und Daten bietet neue Möglichkeiten. Aber wir sollten nicht die Menschen aus den Augen verlieren, sie sollten immer im Mittelpunkt der Planungstätigkeit stehen.
Gelebte Erfahrung in der Stadtplanung
Architekten
Gehl ist ein vernetztes Stadtplanungs- und Beratungsunternehmen mit Sitz in Kopenhagen, Dänemark, mit Büros in San Francisco und New York sowie einem globalen Netzwerk von Partnern. Es wurde im Jahr 2000 von Professor Jan Gehl und der Architektin Helle Søholt als Fortsetzung von Gehls Forschungen der vorherigen vier Jahrzehnte gegründet. Gehl besteht aus 150 Menschen mit Fachkenntnissen als urbane Veränderer, Datenund Sozialwissenschaftler, Strateginnen und Designer, die in den Bereichen Architektur, Städtebau, Landschaftsarchitektur und Stadtplanung arbeiten und globale Trends mithilfe empirischer Analysen angehen, um soziales Verhalten zu entwerfen, das sinnvolle Veränderung vorantreibt.